Amt

Das ehemalige Amt Reichenberg

Bereits 1347 gibt es auf Reichenberg einen Truchsess (mittelalterlicher Hofbeamter), über dessen Aufgabenbereich allerdings keine näheren Angaben vorliegen. Urkundlich erwähnt wird er lediglich als Zeuge in einem Besitzstreit in Nastätten. In dem Bestallungsbrief von Graf Wilhelm II von Katzenelnbogen für seinen Amtmann Johann Brenner von Lahnstein wird für seine Amtstätigkeit 'sin sloß Richenberg' und alle dazu gehörigen Schlösser auf dem Einrich angeführt. Demnach könnte die Burg Reichenberg Verwaltungsmittelpunkt des altkatzenelnbogischen Besitzes rechts des Rheins gewesen sein. Rheinfels hingegen war weiterhin Amtssitz für den linksrheinischen Teil des Katzenelnbogener Besitzes, aber auch Wohnsitz und Zollstätte.
Karte des landgräflichen Kartographen W.Dillich um 1607 mit dem Amt (AMPT) Reichenberg.

In den Reichenberger Rechnungen der Kellner Heinz von Ackerbach (1425), Konrad (Kontz) Letsche (1427-1455) und Klaus Kochel (1479) werden in Ein- und Ausgaben die Dörfer Kasdorf, Ruppertshofen, Oelsberg, Bogel, Auel, Wallmenach, Nastätten, Offenthal, Bornich, Patersberg, Weyer, Himmighofen, Zorn, Hilgenroth, Winterwerb und Lierschied genannt.
Zu den Aufgaben des Amtmannes oder Oberamtmannes gehörten Beurkundungen bei Kaufverträgen, Steigbriefen, Schlichtung von Grenzstreitigkeiten, Genehmigung von Baulichkeiten, Anlegung von Steuerlisten, Personenlisten (Seelenlisten) , Überwachung der Zehnten, Finanzüberwachung, Überwachung der Waldungen, u.a.. Zahlreiche Schriftstücke der umliegenden Dörfer sind auf Reichenberg ausgestellt und beurkundet worden.
1453    Graf Philipp von Katzenelnbogen erteilt seinem Landschreiber zu Hohenstein und seinem Kellner Letsche zu Reichenberg auf Grund der Abrechnungen Entlastung. Die Stellung des Landschreibers lag über der des Kellners.
1479/80    Nach dem Tode des letzten Katzenelnbogener Grafen, Philipp d. Ä., beginnt auf dem Territorium der ehemaligen Niedergrafschaft die Hessische Herrschaft unter dessen Schwiegersohn Heinrich III von Hessen. Er funktioniert die aus Katzenelnbogener Zeit bestehenden Kellereibezirke um in Ämter und setzt zu deren Verwaltung Amtmänner ein. Burg Reichenberg wird für vier Jahrhunderte Verwaltungssitz hessischer Amtmänner.
Die Bedeutung der Burg als zeitweiser Wohn- und Aufenthaltsort einer Grafenfamilie mit Bediensteten, Knechten und Mägden, Abhaltung von Feiern und Festen, wenn Jagdgesellschaften in der Burg weilten, gehört der Vergangenheit an.
1480    Im Marburger Archiv befindet sich eine Übersicht der Einnahmen aus der Niedergrafschaft vom Jahre 1480. Darin ist Reichenberg als Amt mit den Orten Ruppertshofen, Bachheim, Zorn, Diethardt, Lierschied und Reitzenhain verzeichnet.
1534    Landgraf Phillip von Hessen will das Amt Reichenberg, das Thal (Dorf) und Schloss, an Dietrich vom Stein verkaufen mit allen Herrlichkeiten (Vogteien, Wildbann, Fischerei, Zinsen, Kirchsätzen, Höfen, Beden, Steuern, Korngülten, Weizengülten, Pfenniggülten, Gerichten, Äckern, Wiesen, Wäldern, Wasser und Weiden). Mit dem Erlös will er einen Feldzug gegen Württemberg teilweise finanzieren. Dietrich vom Stein fehlen aber die Finanzmittel, und so kommt der Verkauf von Reichenberg nicht zustande.

1536    Im Mann- und Dienerbuch Philipps des Großmütigen werden zum Amt Reichenberg als zugehörig aufgeführt:
Lautert, Ober- und Niederwallmenach, Reitzenhain, Auel,
Nochern, Weyer, Ruppertshofen, Bogel, Himmighofen,
Pissighofen, Pohl, Bettendorf, Lollschied,
Ober- und Niedertiefenbach, Nastätten, Ölsberg und Buch

Zeitraum Amtmänner
Amtmänner auf Burg Reichenberg
1553-1577 Hensel Wiederholt
1579-1590 Reinhard Wiederholt als Amtskellner auf Reichenberg.
Er wurde auf dem Friedhof an der Kirche zu Patersberg (Pfarrkirche für Patersberg und Reichenberg) begraben. Die Grabplatte ist heute im Innern der Kirche angebracht.
1591-1608 Konrad Winter
1609-1624 Hans Heinrich Loskandt


Aus dem Jahre 1614 liegt eine ausführliche Grenzbeschreibung des Reichenberger Amtes (Ampt) im Marburger Kammerarchiv vor.
"Designation der mahll, stein und uffworffenn des ampts Reichenbergk, wo daßelbigk ann unnd außgehet unnd wohin es grentzet, de anno etc. 1614"
... "Dieses ampt fengt an uff der hoehe disseyts Offenthall am landgraben, durch denselben herunder, der Goebelsborner bach nach, dahe doch die wiesen jenseyt der bach zum hause gehörigk unnd im burgkfriedden begriffenn werden, biß uff die bruckh bey der Lirschieder muhll, davonn dannen die bach hinunder biß ann einen weinbergk, der Caderich genandt, bey der Haßenmühl hin, so weitt in Rein als einr mit einem gaull reitten unnd mitt einem langen spieß reichen kan, vom Rein heruf nach Nochern zue biß uff die platt, da stehet ein stein."

Ausführlich (bei Sponheimer fünf kleingedruckte Seiten) wird der Grenzverlauf zu Nochern, Wellmich, Gemmerich, Pissighofen, Himmighofen, Miehlen (Mihlener hoffackher die unnderst forch) , Marienfels, Nastätten (Nasteder wegk) , Diethardt, Lautert, Oberwallmenach hinter der Alttenburgk herumb biß zur Heppenmühll beschrieben und durch zahlreiche Hinweise (mahll) wie Steine, Bäume, Hecken, Bäche, Flurnamen und Wege erklärt.
"... vonn dero Hepenmuhl die bach hinunder biß uff dene stein, welcher Hessen und Pfaltz unnderscheidet. Forthinn an das Bornecher gebückh zue unnd biß an dene landgraben, dahe man fornen angefangen."

Zeitraum Amtmänner
Weitere Amtmänner
1628-1634 Tilemann Regensdorf
1636 Daniel Schmalkalden. Von ihm berichtet Pfarrer Plebanus in seinem Tagebuch.
1636 Causen
1639 Philipp Balthasar Schmoll
1647 Daniel Strupp von Gelnhausen, Verteidiger der Burg bei der Belagerung im Familienstreit der Hessen (s. Burg)
1649 Helferich Ruppel
1657 Jacob Frey
1660 Sebastian Kaiser
1672 Herrmann Cappius
1674 Johann Brenner
1709 F. Evers


1718
   Die Amtmannsstelle geht an Franz Moses von Brenner als landgräfliches Erblehen von Reichenberg über. Er nimmt zwar Rechte und Vorteile wahr, unternimmt aber nichts gegen den Zerfall der Burg.
1748    Herabstürzende Mauerteile des 'hohen Baues' zertrümmern die bisherige Amtsstube in der Wohnung des Amtmannes (Burghof).
Als in Nastätten eine Oberschultheißerei mit Zustimmung der Rheinfelser Kanzlei entsteht und sie als Zwischeninstanz Justiz- und Gefälleverwaltung an sich reißt, sieht sich Herr von Brenner in seinen Rechten geschmälert und geschädigt. In langwierigen Prozessen entscheidet 1759 das Reichskammergericht zugunsten der Regelung der Kanzlei auf Rheinfels. Erst 1795 nimmt der Streit ein Ende, als der letzte von Brenner auf Grund eines Reichskammergerichtsurteils Burg und Amt Reichenberg verlässt. Fortan wird das Amt Reichenberg bis zur französischen Occupation 1806 von einem hessischen Amtsverwalter versehen.
1806    Als Bestandteil des Kurfürstentums Hessen-Kassel kommt der rechtsrheinische Teil der ehemaligen Niedergrafschaft, und damit auch Reichenberg , unter französische Verwaltung . Als Bestandteil der hessischen Niedergrafschaft auf der rechten Rheinseite wird es vom 20. November 1806 bis zum 1. November 1813 dem französischen Präfekten Pietsch vom Departement Donnersberg unterstellt, unter dem die alten Behörden von Langenschwalbach weiterarbeiten.
1813    Nach Auflösung der französischen Verwaltung (Blüchers Rheinübergang in der Neujahrsnacht 1813/14 in Verfolgung der französischen Armee) übernimmt Hessen für zwei Jahre wieder die Verwaltung. Im Vertrag vom 31. Mai 1815 zwischen Hessen und Nassau, versprach Preußen in einem Nebenartikel, falls es von Hessen-Kassel die Niedergrafschaft abgetreten erhielte, wolle Preußen den rechtsrheinischen Teil gegen einen Teil des Fürstentums Siegen wiederum an Nassau vertauschen.
1815/16    Die Neuordnung Europas auf dem Wiener Kongress reicht bis in kleinste Provinzen. Die Vereinbarungen zwischen Preußen, Hessen und Nassau kommen zum Tragen. Reichenberg gehört von nun an zum Herzogtum Nassau. Das hessische Amt Reichenberg wird aufgelöst und kommt mit 26 Orten zum Herzoglich-Nassauischen Amt St. Goarshausen.
Als 1866 das Herzogtum Nassau zu den Verlierern gehört, kommt es zum Königreich Preußen. Nach 50 Jahren bedeutender kulturgeschichtlicher Ereignisse und Entwicklungen gehört diese Epoche zwar der Vergangenheit an, wirkt sich aber in vielen sozialen, gesellschaftlichen und politischen Bereichen bis heute noch aus.
Trotz Burg, trotz Verleihung der Stadtrechte und trotz Verwaltungssitz eines Amtmannes mit entsprechenden Bediensteten über vierhundert Jahre, ist in der Enge des Tales keine größere Ansiedlung entstanden.

Altes Fachwerkhaus vor dem Marstall, erbaut 1723, abgebrannt 1963
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