Wilhelm Riehl schreibt zunächst einen Artikel über diesen Besuch, den Leo Sternberg in seinem Heimatbuch Land Nassau veröffentlicht.
... "Als wir uns aber nach einer Strecke Wegs noch einmal nach der Burg umschauten, fand Scheffel das Bild so wunderschön, daß er sich unter den nächsten Baum setzte und fast eine Stunde lang, trotz allen Durstes, Burg und Landschaft sorgsam zeichnete. Ich spann während der unerwarteten Rast an meinen Gedanken über die prächtigen Ruinen weiter. Und so entstand in mir der Plan zu der Novelle "Burg Neideck", den ich dann nach meiner Gewohnheit jahrelang mit mir herumtrug, bevor ich ihn ausführte."
1867 Nach dem Tode von Archivar Habel erbt dessen Neffe, der Amtsrichter Conradi von Miltenberg am Main, die Burg.
1875 Von ihm erwirbt die Gräfin Charlotte von Mellin (Livland), geschiedene von Grothe, die Burg. Sie darf sich Charlotte von Reichenberg nennen (eigenes Kapitel).
1880 Am 21. Dezember stirbt die Gräfin und vermacht Burg Reichenberg ihrem Neffen Baron Wolfgang von Oettingen (geb. in Dorpat, Estland). Die Besitzer vor ihm haben sowohl im Fachwerkhaus vor dem Marstall als auch im Eckturm (Nikodemus genannt) gewohnt. Er lässt den heutigen Wohnkomplex auf der Westseite in mehreren Bauabschnitten, zunächst zinnenartig mit Flachdächern, erstellen und erwirbt am Burgberg Waldstücke und Ländereien zurück.
Die Gemeinde gestattet ihm 1881 die früher bestandene Wasserleitung im alten Graben (Quellfassung im Gemeindewald Distrikt 'Hahn') wieder herzustellen, um die Wasserversorgung sicherzustellen. Die Forstbehörde schätzt den Holzschaden auf 60 Mark, die von dem Schlossbesitzer aufzubringen sind.
Über dem 'Nikodemus' wird ein kegelförmiges Zinkdach errichtet, um die darunterliegenden Studierzimmer - v. Oettingen ist mittlerweile Professor und Geheimrat - vor Feuchtigkeit besser zu schützen. In einer Sturmnacht jedoch hält die Konstruktion nicht stand, und Teile davon landen im 'Bohnenberg'. Hier wird nach einer Zeichnung von M. Colonius, St. Goarshausen, in kürzester Zeit ein Gartenhaus (Pavillon, Teehaus) gebaut. Erstaunlich dabei: Antrag gestellt am 10. Sept. 1913, Genehmigung erteilt nach Prüfung durch das Bauamt in St. Goarshausen am 11. Sept. 1913!
1884 In einer besonderen Sitzung des Reichenberger Gemeinderates werden sich der Besitzer der Burg und die Gemeinde einig darüber, dass unter bestimmten Auflagen die allgemeine Überfahrts- und Ganggerechtigkeit gelöscht wird (Schriftverkehr, Sitzungsprotokolle und Vereinbarungen für alle Rechtsnachfolger im Archiv).
1888 Einsturz der Mittelsäulen und des Daches im Saalbau (Palas).
1908 Professor, Dr. Wolfgang von Oettingen, gegenwärtig Senator und ständiger Sekretär der Kgl. Akademie der Künste in Berlin, wird zum Direktor des Goethe-Museums in Weimar berufen. Die Familie zieht mit ihm dort hin und kommt nur gelegentlich nach Reichenberg.
1912 Ausbesserungsarbeiten an der Schildmauer.
1913 Restaurierung des Saalbaues. Auf der Grundlage von Dilichs Plänen und unter Leitung des königlichen Hochbauamtes in Rüdesheim werden neue Sandsteinsäulen eingebaut. Der ganze Saalbau erhält im Inneren Querverankerungen und das eingestürzte Gewölbedach wird wieder hergestellt.
1919 Nach verlorenem Krieg richtet sich eine Funkabteilung der französischen Besatzungsmacht auf der Burg ein.
1943 Geheimrat, Professor, Dr. phil. Baron Wolfgang von Oettingen stirbt. Von 1909 bis 1918 war er Direktor des Goethe-Nationalmuseums in Weimar und seit 1911 auch des Goethe- und Schillerarchivs. Als Literaturhistoriker und Übersetzer machte er sich in Fachkreisen einen Namen.
Sein Sohn, Professor Dr. med. Karl Johann von Oettingen tritt sein Erbe an. Zu dieser Zeit ist er Chefarzt eines Wiesbadener Krankenhauses, nachdem er zuvor Ordinarius für Gynäkologie an der Universität Heidelberg war.